
Scheinselbstständigkeit in Deutschland – was Selbstständige wissen müssen
Scheinselbstständigkeit kurz erklärt: Erfahren Sie, wie Sie Fallstricke vermeiden, sich absichern und legal für Unternehmen arbeiten – auch mit nur einem Kunden. Mit Checkliste.
Scheinselbstständigkeit – ein kompliziert klingendes Wort, das für Selbstständige in Deutschland aber sehr wichtig ist. Vielleicht haben Sie den Begriff schon gehört oder sind unsicher, was er bedeutet. In diesem Artikel erfahren Sie praxisnah und leicht verständlich, was Scheinselbstständigkeit ist, welche Risiken damit einhergehen und wie Sie sich davor schützen. Außerdem zeigen wir Ihnen alternative Wege auf, um für Unternehmen tätig zu sein, ohne in die Scheinselbstständigkeits-Falle zu geraten. Lehnen Sie sich zurück – wir führen Sie Schritt für Schritt durch das Thema und geben konkrete Handlungsempfehlungen.
Definition: Was ist Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand auf dem Papier selbstständig ist, in der Realität aber wie ein Angestellter für einen Auftraggeber arbeitet. Mit anderen Worten: Man tritt formal als selbständiger Unternehmer oder Freiberufler auf, ist tatsächlich aber abhängig beschäftigt – also in das Unternehmen eingebunden und weisungsgebunden, wie es bei einem normalen Angestellten der Fall wäre. Die Deutsche Rentenversicherung definiert scheinselbstständige Arbeitnehmer als Personen, „die formal wie selbstständig Tätige auftreten, tatsächlich jedoch abhängig Beschäftigte […] sind“
Stellen Sie sich zum Beispiel folgendes Szenario vor: Herr Müller war bis letztes Jahr fest bei einer Firma als IT-Berater angestellt. Nun hat er sich „selbstständig“ gemacht, arbeitet aber weiterhin exklusiv für seinen ehemaligen Arbeitgeber. Er sitzt jeden Tag im Büro der Firma, hat feste Arbeitszeiten von 9 bis 17 Uhr und muss sogar seinen Urlaub mit dem Team abstimmen – alles genau wie früher als Angestellter. Obwohl Herr Müller nun einen Freelancer-Vertrag hat, hat sich an seiner Arbeitsweise kaum etwas geändert. Dieses Bild entspricht einer Scheinselbstständigkeit, denn Herr Müller ist in Wahrheit kein unabhängiger Unternehmer, sondern faktisch ein Teil des Unternehmens und von ihm abhängig beschäftigt.
Warum ist das ein Problem? Weil in Deutschland für abhängig Beschäftigte bestimmte Schutzpflichten gelten: Der Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge abführen (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) und Arbeitsrechte wie Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz etc. gewährleisten. Ein Selbstständiger hingegen kümmert sich selbst um seine Absicherungen, weshalb hier keine Sozialversicherungsbeiträge vom Auftraggeber gezahlt werden. Wenn jedoch jemand nur zum Schein selbstständig ist, versucht man im Prinzip, diese Pflichten zu umgehen – und genau das sieht der Gesetzgeber gar nicht gern.
Wichtig: Scheinselbstständigkeit ist kein eigener Paragraf im Gesetz, sondern das Ergebnis einer Prüfung des tatsächlichen Arbeitsverhältnisses. Dabei kommt es nicht allein darauf an, was im Vertrag steht, sondern vor allem, wie die Zusammenarbeit in der Praxis aussieht. Selbst wenn vertraglich festgehalten ist, dass jemand als freier Mitarbeiter tätig ist, kann es als Scheinselbstständigkeit gewertet werden, wenn die Realität anders aussieht. Die Abgrenzung ist im Einzelfall manchmal knifflig, da viele Kriterien betrachtet werden müssen. Im Kern möchten die Behörden sehen, dass sich Ihr Verhältnis zum Auftraggeber deutlich von dem eines Angestellten unterscheidet. Nur dann ist es gerechtfertigt, dass das Unternehmen keine Sozialabgaben für Sie zahlt und Sie nicht unter das Arbeitsrecht des Betriebs fallen
Risiken und Fallstricke der Scheinselbstständigkeit
Scheinselbstständigkeit ist keine Lappalie – sie kann für beide Seiten ernste Konsequenzen haben. Viele Selbstständige ahnen gar nicht, in welche Falle sie tappen, wenn sie faktisch wie Arbeitnehmer arbeiten. Hier sind die größten Risiken und Fallstricke, die Sie kennen sollten:
- Nachzahlungen und finanzielle Belastungen: Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, wird Ihr Auftraggeber so behandelt, als hätte er Sie die ganze Zeit regulär anstellen müssen. Das heißt, das Unternehmen muss alle fälligen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen – und zwar für Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil! Diese Nachforderungen können schnell enorme Summen erreichen (oft fünfstellige Beträge). Bei Vorsatz können sogar bis zu 30 Jahre rückwirkend Beiträge eingefordert werden und strafrechtliche Folgen drohen. Für kleine Unternehmen kann das existenzbedrohend sein. Aber auch für Sie persönlich kann es teuer werden: Ihren eigenen Sozialversicherungsanteil der letzten Monate müssten Sie nachzahlen, falls der Auftraggeber ihn von Ihnen zurückfordert. Zudem müssen Steuern korrigiert werden – etwa Umsatzsteuer, die Sie in Rechnungen ausgewiesen haben, denn als echter Arbeitnehmer hätten Sie gar keine Umsatzsteuer berechnen dürfen. Solche Korrekturen können Nachzahlungen ans Finanzamt nach sich ziehen.
- Rechtliche Konsequenzen und Strafen: Für den Auftraggeber kann Scheinselbstständigkeit rechtliche Strafen bedeuten. Das vorenthaltene Abführen von Sozialbeiträgen wird als Offizialdelikt gewertet – im Strafgesetzbuch (§266a StGB) ist das sogar eine Straftat. Arbeitgeber, die bewusst Scheinselbstständige beschäftigen, riskieren also strafrechtliche Ermittlungen. Als Auftragnehmer stehen Sie zwar weniger im Fokus strafrechtlicher Verfolgung, aber Sie könnten im schlimmsten Fall als Mitwisser gelten. Zudem verlieren Sie durch eine Scheinselbstständigkeit alle Vorteile sowohl der Selbstständigkeit (z.B. freie Zeiteinteilung in der Theorie) als auch die Vorteile eines Arbeitnehmers (Urlaub, Kündigungsschutz etc.), weil Sie offiziell selbstständig waren, aber praktisch nichts davon hatten. Man hängt sozusagen „zwischen den Stühlen“ und hat nur die Nachteile beider Seiten.
- Rückwirkende Umstellung des Arbeitsverhältnisses: Wenn die Behörden oder ein Gericht feststellen, dass Scheinselbstständigkeit vorlag, wird Ihr Verhältnis nachträglich in ein Angestelltenverhältnis umgewandelt. Für Sie bedeutet das: Sie gelten dann als Arbeitnehmer der Firma – zumindest für den fraglichen Zeitraum. Das hat immerhin den Effekt, dass Ihnen nachträglich gewisse Arbeitnehmerrechte zugesprochen werden können (z.B. Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall), aber in der Praxis ist das selten ein Trost. Oft endet die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber abrupt, da dieser ja eigentlich keinen regulären Arbeitnehmer einstellen wollte. Im schlimmsten Fall verlieren Sie also Ihren Auftrag und stehen plötzlich ohne Einkommen da – und müssen Ihr Gewerbe abmelden, da Sie ja formal kein Selbstständiger mehr in dem Zeitraum waren.
- Unsicherheit und Reputationsverlust: Bereits die Prüfung auf Scheinselbstständigkeit ist unangenehm. Sie kann durch verschiedene Stellen angestoßen werden – zum Beispiel durch die Deutsche Rentenversicherung, die Krankenkasse, das Finanzamt oder sogar durch eine*n selbst (etwa wenn ein Freelancer Kündigungsschutz einklagt). So eine Überprüfung zerrt an den Nerven, kostet Zeit und im Geschäftsleben spricht sich so etwas auch herum. Sie möchten sicher vermeiden, dass Ihr wichtigster Kunde verunsichert wird oder Ihr guter Ruf leidet, nur weil Unklarheit über Ihren Status besteht. Die Behörden kontrollieren freie Mitarbeit in den letzten Jahren verstärkt, daher ist Wachsamkeit geboten.
Kurz gesagt: Scheinselbstständigkeit kann Ihre und die Existenzgrundlage Ihres Auftraggebers gefährden. Es drohen hohe finanzielle Nachforderungen, rechtliche Auseinandersetzungen und das Ende der Geschäftsbeziehung. Daher sollte jeder Selbstständige die Anzeichen kennen, um gar nicht erst in diese Situation zu geraten. Im nächsten Abschnitt erfahren Sie, wie Sie Scheinselbstständigkeit proaktiv vermeiden können.
Vermeidung: Wie Sie nicht in die Scheinselbstständigkeits-Falle tappen
Zum Glück ist Scheinselbstständigkeit kein Schicksal, dem man hilflos ausgeliefert ist. Sie selbst können einiges tun, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten. Hier sind konkrete Maßnahmen, mit denen Sie Ihr Geschäftsverhältnis sauber aufstellen und zeigen, dass Sie wirklich selbstständig handeln:
- Arbeiten Sie für mehrere Kunden: Einer der wichtigsten Tipps gleich vorweg: Vermeiden Sie, dauerhaft nur einen einzigen Auftraggeber zu haben. Wenn Sie Ihr Einkommen zu fast 100% von nur einer Firma beziehen, läuten bei der Rentenversicherung schnell die Alarmglocken. Sorgen Sie daher möglichst für Auftragsvielfalt. Auch wenn Sie anfangs vielleicht einen Hauptkunden haben – versuchen Sie, daneben weitere kleine Projekte oder Kunden zu gewinnen. Das untermauert Ihren Status als unabhängiger Unternehmer. Eine vertragliche Klausel, die Ihnen erlaubt, für andere Kunden zu arbeiten, reicht nicht aus – Sie sollten das tatsächlich tun. Als grober Richtwert gilt die 5/6-Regel: Wenn mehr als fünf Sechstel Ihres Umsatzes von einem Kunden kommen, ist Vorsicht geboten.
- Pflegen Sie einen eigenen Marktauftritt: Treten Sie nach außen sichtbar als eigenes Unternehmen auf. Dazu gehören z.B. eine eigene Firmen-Website, Visitenkarten, Briefpapier mit Logo und eine geschäftliche E-Mail-Adresse mit Ihrer eigenen Domain, nicht die des Kunden. Wenn Sie Werbung für Ihre Dienstleistungen machen oder öffentlich auftreten (z.B. Vorträge, Social Media, Branchenverzeichnisse), untermauert das Ihre Selbstständigkeit. Ein offizielles Firmenschild am Büro oder eigene Geschäftsräume wirken ebenfalls professionell und eigenständig. All das signalisiert: Hier ist ein eigenständiger Unternehmer am Werk, nicht jemand, der still und heimlich im Auftrag nur einer Firma werkelt.
- Lassen Sie sich keine Weisungen aufzwingen: Achten Sie darauf, möglichst frei in der Gestaltung Ihrer Arbeit zu sein. Sie sollten selbst entscheiden können, wann, wo und wie Sie arbeiten. Natürlich müssen Sie vereinbarte Deadlines einhalten und gute Arbeit liefern – aber Details der Ausführung sollten Ihr Bier sein, nicht das des Auftraggebers. Vereinbaren Sie idealerweise im Vertrag keine festen Arbeitszeiten oder Präsenzpflichten. Wenn ein Kunde verlangt, dass Sie z.B. täglich von 9-17 Uhr vor Ort sind, ist das ein deutliches Indiz für Scheinselbstständigkeit. Besser ist es, wenn Sie Ergebnisse schulden (z.B. im Rahmen eines Werkvertrags ein fertiges Projekt abliefern) statt Ihre Zeit zu bestimmten Stunden. Keine unmittelbare Weisungsbefugnis seitens des Kunden sollte vertraglich festgehalten sein. Kurz: Behalten Sie Ihre unternehmerische Freiheit. Wenn der Kunde anfängt, Ihnen jede Kleinigkeit vorzuschreiben, ist es Zeit, freundlich aber bestimmt Grenzen zu setzen.
- Nicht ins Team integrieren lassen: Als Selbstständiger sind Sie extern – verhalten Sie sich auch so. Das bedeutet z.B., Sie nehmen nicht an jedem internen Meeting teil, Sie erscheinen nicht im Organigramm oder Telefonverzeichnis des Unternehmens und Sie nutzen idealerweise Ihre eigene Ausstattung (Laptop, Telefon) statt permanent einen Firmenrechner. Je weniger Sie wie ein fester Bestandteil der Betriebsorganisation wirken, desto besser. Falls Sie ein Büro beim Kunden nutzen, achten Sie darauf, dass es als externer Arbeitsplatz erkennbar ist (z.B. Schild „extern“ an der Tür, o.ä.). Wichtig: Keine Firmen-E-Mail-Adresse annehmen, die so tut, als wären Sie Angestellter – kommunizieren Sie unter Ihrem eigenen Namen/Firma. Und wenn es um Urlaubszeiten geht: Sie müssen nicht Ihren Urlaub mit der Belegschaft koordinieren. Tun Sie dies doch (weil der Kunde es verlangt), ist das ein Alarmzeichen für Scheinselbstständigkeit.
- Eigene Entscheidungen treffen und Risiko tragen: Unternehmertum bedeutet, auch ein gewisses Risiko zu tragen und Entscheidungen selbst zu fällen. Zeigen Sie, dass Sie nicht einfach Befehlsempfänger sind, sondern auf eigene Rechnung arbeiten. Dazu gehört, dass Sie bspw. eigene Ausgaben tätigen, um Ihren Job zu erledigen (Softwarelizenzen, Werkzeuge, Weiterbildung – was eben nötig ist). Dieses Unternehmensrisiko und Investitionen aus eigener Tasche werden als deutlicher Hinweis auf Selbstständigkeit gewertet. Ebenfalls positiv wirkt, wenn Sie zumindest perspektivisch eigene Mitarbeiter oder Subunternehmer einsetzen. Beschäftigen Sie z.B. einen Assistenten oder arbeiten Sie zeitweise mit Kollegen zusammen, zeigt das, dass Sie nicht als Einzelkämpfer voll vom Auftraggeber abhängen. Zwar hat nicht jeder Solo-Selbstständige sofort Angestellte, aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, sich im Bedarfsfall vertreten zu lassen – echte Selbstständige können sich im Urlaub oder Krankheitsfall oft vertreten lassen, Scheinselbstständige meist nicht.
- Angemessene Honorarstruktur wählen: Ein subtiler, aber wichtiger Punkt ist Ihr Honorar. Selbstständige sollten in der Regel deutlich höhere Stundensätze verlangen als vergleichbare Festangestellte. Warum? Weil Sie daraus Ihre eigene soziale Absicherung finanzieren müssen (Krankenversicherung, Altersvorsorge, Ausfallzeiten etc.). Wenn Ihr Honorar auffällig gering ist, nahezu auf dem Niveau eines Gehalts, fragen sich Prüfer, ob hier nicht einfach ein verstecktes Angestelltenverhältnis vorliegt. Natürlich müssen Ihre Preise marktgerecht sein – aber bedenken Sie Ihren Wert. Ein hoher Stundensatz allein schützt zwar nicht vor Scheinselbstständigkeit, ist aber ein Indiz dafür, dass Sie als Unternehmer kalkulieren und Vorsorge betreiben. Lassen Sie sich auch keine klassischen Arbeitnehmer-Benefits geben: Kein „Gehalt“ mit Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, keine Lohnfortzahlung bei Krankheit etc. – solche Leistungen an einen „Freien“ wären ein klarer Widerspruch und Hinweis, dass etwas nicht stimmt.
- Klare Verträge und Dokumentation: Halten Sie schriftlich fest, dass es sich um ein freies Dienst- oder Werkvertragsverhältnis handelt und dass Sie weisungsfrei agieren. Zwar zählt am Ende die gelebte Praxis mehr als das Papier, aber ein sauberer Vertrag ist die Basis. Führen Sie eventuell sogar Stundennachweise oder Projektberichte so, dass erkennbar ist: Sie arbeiten ergebnisorientiert und eigenverantwortlich, nicht im 9-to-5 Trott. Wenn möglich, vereinbaren Sie Projektpauschalen oder Stückpreise statt reinem Monatsgehalt-Gefühl. Und sollten Sie länger für einen Kunden tätig sein, definieren Sie Meilensteine oder separate Aufträge anstatt nahtlos „wie ein Angestellter auf unbestimmte Zeit“ tätig zu sein.
- Im Zweifel: Status prüfen lassen: Wenn Sie unsicher sind, können Sie ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung beantragen. Dabei prüfen die Behörden offiziell, ob in Ihrem Fall eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Dieses Verfahren können Auftraggeber und -nehmer gemeinsam anstoßen und es schafft Rechtssicherheit. Aber Achtung: So ein Antrag will gut vorbereitet sein und ehrlich beantwortet werden – im Zweifel ziehen Sie einen Rechtsberater hinzu. Ein positiver Bescheid (dass Sie selbstständig sind) gibt Ihnen und Ihrem Kunden Beruhigung. Fällt er negativ aus, wissen Sie zumindest frühzeitig Bescheid und können gegensteuern. Dieses Mittel sollten Sie sorgfältig abwägen; oft reicht es schon, selbstkritisch die obigen Kriterien durchzugehen und ggf. Anpassungen in der Zusammenarbeit vorzunehmen.
Wenn Sie diese Maßnahmen beherzigen, stehen die Chancen gut, dass Ihre Selbstständigkeit auch wirklich als solche anerkannt wird. Tausende Freelancer in Deutschland arbeiten tagtäglich legal und erfolgreich für Unternehmen – der Schlüssel liegt darin, es professionell und unabhängig zu tun.

Alternativen: Selbstständig für ein Unternehmen arbeiten – aber richtig
Gibt es Möglichkeiten, weiterhin selbstständig für ein Unternehmen tätig zu sein, ohne dass es gleich als Scheinselbstständigkeit gewertet wird? Die klare Antwort: Ja, wenn Sie ein paar Dinge beachten. Hier einige Alternativen und Gestaltungsformen, mit denen Sie sowohl Ihre Freiheit bewahren als auch rechtlich auf der sicheren Seite sind:
- Echte freie Mitarbeit mit Projektcharakter: Sie können durchaus länger für einen einzigen großen Kunden tätig sein – entscheidend ist wie. Ideal ist eine Zusammenarbeit auf Projektbasis. Schließen Sie zum Beispiel einen Werkvertrag ab, der ein konkretes Arbeitsergebnis zum Ziel hat (etwa die Fertigstellung eines Software-Moduls oder eines Designs). In diesem Rahmen können Sie einige Monate fast ausschließlich für diesen Auftraggeber arbeiten, bleiben aber eigenständig in der Umsetzung. Wichtig ist, dass klar ist: Nach Projektende ist Schluss oder es wird neu verhandelt. Solange Sie nicht auf unbestimmte Zeit wie ein normaler Mitarbeiter dort „sitzen“, sondern projektbezogen und mit eigenem Fahrplan agieren, haben Sie gute Karten. Auch ein freier Dienstvertrag kann funktionieren, wenn Sie darin bestimmte Beratungs- oder Dienstleistungen erbringen, ohne sich dem internen Ablauf total unterzuordnen. Kommunizieren Sie gegenüber dem Auftraggeber offen, dass Sie Ihre Unabhängigkeit wahren müssen – seriöse Unternehmen wissen das und respektieren es in der Regel, wenn Sie darauf achten.
- Zwischenschaltung eines Drittanbieters (wenn nötig): Eine andere Möglichkeit, die manche nutzen: Sie lassen sich für das Projekt über eine Agentur oder einen Dienstleister vermitteln. In diesem Modell wären Sie zum Beispiel bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, die Sie an den Kunden ausleiht (Stichwort Arbeitnehmerüberlassung), oder Sie nutzen einen Freelancer-Abrechnungsservice, bei dem Sie formal kurzfristig angestellt werden, um beim Kunden ohne Risiko zu arbeiten. Diese Konstruktionen sind zwar nicht mehr „selbstständig“ im engeren Sinne, aber falls ein Unternehmen sehr strikt Risiken vermeiden will, kann so eine temporäre Anstellung über Dritte eine Alternative sein. Für Sie hat das den Nachteil, dass Sie dann Angestellter des Dienstleisters sind (mit allen Abgaben), aber wenigstens umgehen Sie den Scheinselbstständigkeitsvorwurf. Dieser Weg will gut überlegt sein – viele Freiberufler ziehen es vor, direkt selbstständig zu bleiben und stattdessen die Zusammenarbeit sauber zu strukturieren (siehe oben). Dennoch sei erwähnt, dass es solche Umbrella-Lösungen am Markt gibt, wo Sie faktisch einen Arbeitgeber haben, der Sie für Projekte „ausleiht“.
- Gründung einer eigenen Kapitalgesellschaft: Oft wird Freiberuflern geraten, zur Sicherheit eine GmbH oder UG (Unternehmergesellschaft) zu gründen und über diese Firma die Aufträge abzuwickeln. Tatsächlich kann das in der Praxis helfen, da der Auftrag dann B2B (Firma zu Firma) vergeben wird. Viele Unternehmen fühlen sich wohler, wenn sie eine GmbH als Auftragnehmer haben, da dies weniger nach „Scheinselbstständig“ aussieht. Aber Vorsicht: Allein die Rechtsform GmbH schützt nicht automatisch vor einer Einstufung als Scheinselbstständiger! Entscheidend bleibt das tatsächliche Verhalten. Auch bei einer Ein-Personen-GmbH kann man scheinselbstständig sein, wenn man sich wie ein Angestellter im Kundenbetrieb verhält. Eine GmbH-Gründung nur zum Zweck der Umgehung kann zudem problematisch sein. Dennoch bietet eine eigene Firma einige Vorteile: Sie können Mitarbeiter einstellen, treten am Markt eigenständig auf und trennen Ihre Finanzen vom Privatvermögen. Aus steuerlicher Sicht kann es je nach Gewinnhöhe ebenfalls interessant sein. Wenn Sie ohnehin planen zu wachsen oder mehrere Gesellschafter haben, ist die Kapitalgesellschaft eine Überlegung wert. Aber machen Sie es nicht allein aus Angst vor Scheinselbstständigkeit – dann lieber die oben genannten Kriterien erfüllen.
- Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit bewusst einordnen: Wussten Sie, dass es auch die Kategorie „arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger“ gibt? Diese liegt vor, wenn Sie zwar echt selbstständig tätig sind, aber hauptsächlich für einen Auftraggeber arbeiten und keine eigenen sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigen. In so einem Fall gelten Sie rechtlich immer noch als Selbstständiger, jedoch mit Rentenversicherungspflicht – Sie müssen sich also gesetzlich rentenversichern und den vollen Beitrag (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) selbst tragen. Viele Solo-Selbstständige kennen diese Regel nicht und sind überrascht von der plötzlichen Zahlungspflicht. Wichtig ist: Das ist nicht Scheinselbstständigkeit, sondern legal, aber finanziell relevant. Wenn Sie sich bewusst dafür entscheiden, nur einen Großkunden zu bedienen, planen Sie diese Zusatzkosten ein. Sie können bei der Deutschen Rentenversicherung ggf. eine Befreiung beantragen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (z.B. wenn Ihr Auftrag befristet ist oder Ihr Honorar sehr hoch und Sie anderweitig vorsorgen). Informieren Sie sich in so einem Fall gezielt über die Regelungen für arbeitnehmerähnliche Selbstständige, damit Sie zwar unabhängig bleiben, aber Ihre Vorsorge nicht vernachlässigen. Es ist jedenfalls ein Unterschied, ob man „nur“ rentenversicherungspflichtig als Selbstständiger ist oder ob man illegal scheinselbstständig agiert. Ersteres können Sie handhaben (es kostet Geld, aber Sie sind auf der sicheren Seite), letzteres sollten Sie unbedingt vermeiden.
- Im Zweifel echtes Angestelltenverhältnis wählen: Dieser Tipp mag kontraintuitiv klingen, aber: Wenn ein Unternehmen praktisch Ihre gesamte Arbeitskraft benötigt und dauerhaft bestimmt, wann, wo, wie Sie arbeiten, dann fragen Sie sich ehrlich, ob eine Festanstellung nicht sinnvoller wäre. Manche Selbstständige atmen richtig auf, wenn sie nach Jahren als unsicherer „Freier“ doch einen Arbeitsvertrag unterschreiben und dafür Planungssicherheit, Urlaub, Sozialversicherung und ein festes Gehalt bekommen. Sie können auch beides kombinieren: Beispielsweise in Teilzeit fest angestellt bei Ihrem Hauptkunden arbeiten (z.B. 2-3 Tage die Woche) und daneben weiterhin selbstständige Projekte für andere Auftraggeber übernehmen. So haben Sie ein stabiles Fundament und bleiben dennoch teilweise Ihr eigener Chef. Diese Lösung ist natürlich abhängig von den Möglichkeiten und Wünschen beider Seiten, aber sie sei erwähnt – denn letztlich soll Ihre berufliche Tätigkeit für Sie stimmen. Und ein echter Angestelltenjob ist allemal besser, als scheinbar selbstständig zu sein und permanent mit einem Bein im Illegalen zu stehen.
Fazit
Sie können durchaus selbstständig für Unternehmen tätig sein, ohne scheinselbstständig zu sein – wenn Sie es richtig anpacken. Halten Sie die Zusammenarbeit klar, unabhängig und professionell, dann profitieren beide Seiten: Das Unternehmen von Ihrer Flexibilität und Expertise, und Sie von interessanten Aufträgen bei voller unternehmerischer Freiheit. Sollte ein Auftraggeber unsichere Anforderungen stellen (z.B. „Sie dürfen nur für uns arbeiten und müssen täglich anwesend sein“), scheuen Sie sich nicht, das Gespräch zu suchen und alternative Modelle vorzuschlagen – etwa einen befristeten Arbeitsvertrag oder Anpassungen im Vertrag, die Ihre Selbstständigkeit wahren. Es ist besser, solche Punkte offen zu klären, als später böse Überraschungen zu erleben.
Zum Abschluss noch ein persönlicher Rat: Kennen Sie Ihren Wert und Ihre Rechte. Als Selbstständiger sind Sie Ihr eigener Chef – mit allen Chancen, aber auch Pflichten. Informieren Sie sich regelmäßig (z.B. bei der IHK oder Berufsverbänden) über gesetzliche Änderungen und nutzen Sie Checklisten, um Ihren Status zu überprüfen. So können Sie mit ruhigem Gewissen Ihrer Tätigkeit nachgehen. Sollten Sie dennoch einmal Post von der Rentenversicherung oder dem Zoll zur Prüfung bekommen, geraten Sie nicht in Panik: Wenn Sie die oben genannten Grundsätze beherzigt haben, stehen die Chancen gut, dass alles in Ordnung ist.
Checkliste: So vermeiden Sie Scheinselbstständigkeit (auch bei nur einem Kunden)
1. Klare, schriftliche Absprachen
- Halten Sie im Vertrag fest, dass Sie als selbstständiger Dienst- oder Werkleister tätig sind und keine Arbeitnehmertätigkeit ausüben.
- Legen Sie fest, welche Leistungen Sie konkret erbringen und dass Sie dafür eigenverantwortlich (ohne Weisungsbindung) agieren.
2. Eigene Außenpräsenz und unternehmerisches Handeln
- Führen Sie ein eigenes Geschäft (Website, Briefpapier, E-Mail-Adresse, Visitenkarten).
- Werben Sie im Idealfall aktiv um weitere Kunden, auch wenn Sie zurzeit überwiegend einen Hauptkunden haben.
- Treten Sie erkennbar als eigene Firma auf, nicht als „Teil“ des Kundenunternehmens.
3. Vermeiden Sie feste Arbeitszeiten und -orte
- Bestimmen Sie selbst, wann und wo Sie arbeiten.
- Wenn räumliche oder zeitliche Vorgaben nötig sind (z.B. wegen Projektmeetings), halten Sie dies so flexibel wie möglich.
4. Bezahlung nach Ergebnis oder Stundenpaketen statt Monatsgehalt
- Nutzen Sie Pauschal- oder Stundenabrechnungen, die unternehmerisch kalkuliert sind.
- Vermeiden Sie Gehaltsähnliche Strukturen (z.B. gleiche Zahlung jeden Monat unabhängig von der Leistung).
5. Keine Integration ins Team wie ein Angestellter
- Achten Sie darauf, nicht wie ein interner Mitarbeiter behandelt zu werden (keine Firmen-E-Mail, kein Mitspracherecht bei internen Personalfragen, keine vollständige Einbindung in die Betriebsorganisation).
- Urlaubsplanung, Krankmeldungen oder Team-Meetings gelten nur im Rahmen vertraglich vereinbarter Projekt- oder Abstimmungsbedarfe.
6. Tragen Sie ein eigenes unternehmerisches Risiko
- Übernehmen Sie Kosten für Arbeitsmittel, Software, Fortbildungen etc. selbst.
- Ein höheres Honorar spiegelt Ihre Ausgaben und unternehmerischen Risiken wider.
7. Dokumentieren Sie Ihre eigenständige Arbeitsweise
- Belegen Sie Ihre Selbstständigkeit durch eigene Angebote, Rechnungen und Projektberichte.
- Verweisen Sie im Zweifelsfall auf eigene Referenzprojekte und weitere Auftraggeber, auch wenn diese kleiner oder seltener sind.
8. Statusfeststellungsverfahren bei Unsicherheit
- Wenn Sie und Ihr Kunde Klarheit wollen, beantragen Sie bei der Deutschen Rentenversicherung eine Statusprüfung. Das Ergebnis schafft Rechtssicherheit – gegebenenfalls können Sie Ihren Vertrag daraufhin anpassen.
9. Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit im Blick haben
- Arbeiten Sie ausschließlich oder fast ausschließlich für diesen einen Kunden, informieren Sie sich über eine mögliche Rentenversicherungspflicht. Das ist nicht gleich Scheinselbstständigkeit, zieht aber andere Verpflichtungen nach sich.
10. Sofort handeln, wenn der Kunde „feste Weisungen“ verlangt
- Kommt es zu weisungsgebundener Arbeit und dauerhafter Eingliederung, sprechen Sie Ihren Kunden darauf an und schlagen Alternativen (Projektverträge, befristete Anstellung oder flexible Modelle) vor. Besser jetzt nachjustieren, als später Probleme zu haben.
Bleiben Sie wirklich selbstständig im besten Sinne des Wortes – dann brauchen Sie die Scheinselbstständigkeit nicht zu fürchten!
Viel Erfolg bei Ihren Projekten.
Hinweis: Dieser Beitrag beleuchtet das Thema Scheinselbstständigkeit grundsätzlich und stellt keine verbindliche Beratung dar. Für Handlungen, die Sie aus diesem Beitrag ableiten, wird keine Haftung übernommen. Wenn Sie Beratungsbedarf haben, beleuchten wir gerne Ihre individuelle Situation und helfen Ihnen weiter.
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