„Der Mensch ist doch nicht so schlecht, wie wir das oft denken“
Der Krieg in der Ukraine hat eine große Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität ausgelöst. Auch aus der HSP GRUPPE wurden viele Aktivitäten unterstützt und besonders in der Zeit direkt nach Kriegsbeginn wurde schnelle Hilfe geleistet.
Carsten Schulz, Chefredakteur von DAS QUARTAL und Mitgründer der HSP GRUPPE, spricht mit den Steuerberatern Marco Sell und Marco Windhorst, die mit hohem persönlichen Einsatz besondere Initiative gezeigt haben, über Hilfsbereitschaft und Werteorientierung.
Das Gespräch wurde am 3. Mai 2022 geführt.
Carsten Schulz: Schon seit vielen Jahren werden viele Wohltätigkeitsaktivitäten der HSP GRUPPE über den Verein HSP CHARITY koordiniert. Als Hauptzweck unterstützt der Verein Projekte in der Kinder- und Jugendhilfe, springt aber auch bei besonderen Notlagen und anderen Hilfsbedarfen ein. Im Zuge des Ukraine-Krieges hat HSP CHARITY Stand heute etwas über 200.000 Euro an Spenden zur Ukraine-Hilfe aus dem Umfeld der HSP GRUPPE eingesammelt. Liebe Marcos, dies hat sehr viel mit euch beiden zu tun. Mögt ihr euch einmal kurz vorstellen?
Marco Sell: Gerne. Ich bin Marco Sell, Steuerberater und Inhaber mehrerer Steuerkanzleien in Nordosthessen mit Standorten in Bad Hersfeld, Hohenroda, Kassel, Fulda und Friedewald.
Marco Windhorst: Und ich bin Marco Windhorst, ebenfalls Steuerberater und Mitinhaber der Kanzlei HSP STEUER Bremen.
Carsten Schulz: Marco Windhorst, du hast bei HSP im Grunde den Stein ins Rollen gebracht. Ich erinnere mich an deinen Aufruf vom 25. Februar in HSP.ONE, der Kommunikationsplattform der HSP GRUPPE, wo du um Geld gefragt hast, um Hilfsgüter für die Ukraine zu besorgen. Das war einen Tag nach Kriegsbeginn und du hattest schon einen Plan. Wie bist du dazu gekommen?
Marco Windhorst: Der Kriegsbeginn war ein Schock für mich. Ich bin ja allgemein hin nicht zart besaitet, aber ich saß am Rechner und schaute die Nachrichten und habe geheult wie ein kleines Kind. Einerseits wegen des akuten Leids und weil ich mir vorstellte, was da noch kommen mag. Da ich mir aber nicht darin gefalle, rumzuheulen, sondern lieber handele, habe ich den Plan gefasst, das zu tun, was in meiner Macht steht, um zu helfen. Das war ganz naiv: Sachen kaufen, auf einen Lkw laden und in die Ukraine bringen. Wie das gehen soll, wusste ich noch nicht. Die erste Idee war: Ich bin Mitglied in einem Verbund von mehr als 1.000 Menschen, da kann man mal nachfragen und um Geld bitten.
Carsten Schulz: Du hast ja nicht nur um Geld gebeten, du hast auch gesagt, dass du jeden Euro, der gespendet wird, noch mal aus deinem Vermögen drauflegst.
Marco Windhorst: Ja (lacht), ich weiß nicht, ob ich das gesagt hätte, wenn ich geahnt hätte, wie groß die Spendenbereitschaft ist … In wenigen Stunden waren über 35.000 Euro zusammen und von mir dann noch mal privat 35.000 Euro dazu.
Carsten Schulz: Also schon mal ca. 70.000 Euro in der Schatulle. Damit kann man was anfangen, aber wie und was tut man dann?
Marco Windhorst: Das habe ich mich auch gefragt … Im Mandantenkreis haben wir einen Spediteur, die Firma CML Logistik aus Stuhr. Da habe ich Alexander Heine angehauen – ein toller Typ – und gefragt, ob er einen Lkw entbehren kann. Der hat sofort zugesagt und auch noch einen Fahrer spendiert. Dann bin ich bei Google auf den Pastor Andreas Hamburg von der evangelischen St.-Markus-Gemeinde in Bremen gestoßen. Der stammt ursprünglich aus der Ukraine und hatte selbst Hilfsprojekte angestoßen und mit ihm hatte ich abgestimmt, wo man die Ware hinbringen soll. Und dann bin ich mit dem Geld einfach zur Metro gefahren und habe den Lkw vollgemacht.
Carsten Schulz: Das klingt jetzt erst mal einfach, aber was hat die Metro gesagt, als da plötzlich so ein Großeinkäufer stand?
Marco Windhorst: Die hatten erst mal Sorge, dass sie keine Ware mehr für andere Kunden haben. Wir haben dann aber abgemacht, dass wir keine Regale komplett leer kaufen, sondern von allem noch was stehen lassen. Da haben sie uns dann auch mehrere Mitarbeitende zur Seite gestellt, die uns geholfen haben.
Carsten Schulz: Was habt ihr alles gekauft?
Marco Windhorst: Im Wesentlichen Lebensmittel und Hygieneartikel. Da tauchte aber ein kleines Problem auf – der geplante Fahrer fiel aus.
Carsten Schulz: Hier beginnt eigentlich die Geschichte von Marco Sell …
Marco Sell: Richtig. Es kam von Marco nämlich noch ein weiterer Hilferuf über HSP.ONE: Er fragte, ob jemand jemanden kennt, der einen Lkw an die ukrainische Grenze fahren kann. Da dachte ich: Klar, ich habe den passenden Führerschein und kann das. Also habe ich mich kurzerhand angeboten. Dazu kam es dann aber in der Form nicht, weil Marco dann doch vor Ort noch Ersatz gefunden hatte.
Marco Windhorst: Genau. Eigentlich wollte ich mitfahren, wurde dann aber von Corona erwischt. Der erste Lkw wurde dann an die Grenze zu Ungarn gefahren, wo die Ware auf Kleintransporter umgeladen und in die Ukraine gefahren wurde.
Carsten Schulz: Damit war die Sache aber für dich noch nicht erledigt.
Marco Sell: Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte bis dahin den Kriegsbeginn eher durch einen Nebel wahrgenommen. Natürlich war ich entsetzt, aber auch so mit meinem Tagesgeschäft beschäftigt, dass ich das getan habe, was die meisten Menschen getan haben. Schnell Geld gespendet und dann versucht, die negativen Gedanken zu verdrängen. Als Marco sagte, er bräuchte doch keinen Fahrer, wollte ich eigentlich wieder zum Tagesgeschäft übergehen. Zum Glück hat das aber mein Sohn Lucian nicht zugelassen. Lucian hat mich als junger Familienvater vor zwei Jahren zum Opa gemacht. Er litt unter dem Kriegsbeginn sehr, insbesondere durch das zu erkennende Leid der Kinder in der Ukraine. Er sendete mir am Abend des 26. Februar folgende Nachricht, Moment ich lese sie im Original vor (holt Handy aus der Tasche und liest vor): „Papa, du weißt, ich bitte dich nicht oft um etwas … aber bei den ganzen Bildern der leidenden Menschen, insbesondere der Kinder, blutet einem das Herz! Lass uns doch wie Marco in Bremen einen Transport organisieren und mitfahren.“ Das habe ich ihm natürlich sofort zugesagt.
Carsten Schulz: Und dann habt ihr ganz schön was losgetreten!
Marco Sell: Ja, wir haben sofort begonnen, in unseren Netzwerken herumzufragen. Im Grunde nach jeglicher Form von Unterstützung, also Geld, Autos, Sachspenden etc. Ich hatte mich angeboten, die Spenden bei mir Zu Hause anzunehmen und hatte in kürzester Zeit das Wohnzimmer rappelvoll. Ich musste dann ein Riesenzelt im Garten aufbauen, um das alles noch handhaben zu können. Die Hilfsbereitschaft war irre. Nachbarn, Freunde, Mandanten standen sofort bereit, halfen beim Organisieren, Sortieren, gaben Geld und die Initiative wuchs minütlich.
Carsten Schulz: Und zwar zu einem Riesending.
Marco Sell: Ja! Am 3. April ging die erste Fahrt los, und zwar mit 12 Fahrzeugen! Da war alles dabei, vom Lkw bis zum Bürgerbus. Da sind der Lucian und ich auch mitgefahren und das war wirklich abenteuerlich. Viele Dinge haben wir während der Fahrt geklärt, zum Beispiel die Koordination mit dem Roten Kreuz, wohin wir die Sachen überhaupt bringen sollen. Nachdem wir die Ware in Krakau abgeladen haben, sind wir dann dort noch mal durch die Geschäfte gefahren und haben neue Ware direkt vor Ort gekauft.
Carsten Schulz: Ihr habt aber noch eine andere Sache gemacht: Ihr habt auch auf dem Rückweg gleich Flüchtlinge mitgenommen.
Marco Sell: Richtig. Wir haben hier in der Nähe, in Siegwinden, ein Gästehaus, das vom Missionswerk Brücke zur Heimat betrieben wird. Dort hatten sie in der Vergangenheit bereits auch schon Waisenkinder aus der Ukraine untergebracht. Die Idee war, dort Unterkunft für Großfamilien oder Problemfälle zu bieten.
Marco Windhorst: Sehr gut. Die haben es schwer. Eine Mutter mit zwei Kindern unterzubringen, ist recht einfach, bei einer zehnköpfigen Familie sieht es schon anders aus.
Marco Sell: Genau das war auch unsere Idee. Und deshalb haben wir gesagt, dass wir nicht mit leeren Autos zurückkommen. Auf dem Rückweg hatten wir ca. 40 Plätze mit Flüchtlingen belegt. Und das war auch eine sehr herzzerreißende Erfahrung, wenn man ein begrenztes Kontingent hat und viel mehr Menschen, die mitmöchten.
Carsten Schulz: Das kann ich mir vorstellen, in der Haut möchte ich nicht stecken. Wie habt ihr dann die Auswahl getroffen?
Marco Sell: Wir haben uns da vom Roten Kreuz helfen lassen.
Carsten Schulz: Wir könnten vermutlich noch stundenlang reden, bislang haben wir ja gerade die ersten Tage hinter uns. Ich möchte anmerken, dass ich richtig stolz bin. Wir haben ja in der HSP GRUPPE den Slogan „Herz. Stärke. Partnerschaft.“ und eine werteorientierte Unternehmensführung gegenüber Mitarbeitenden, Mandanten und Geschäftspartnern gehört zu unserem ideellen Kern. Das dies nicht nur hohles Werbegerede ist, sondern auch ganz real gelebt wird, wird in solchen Zusammenhängen noch mal sehr deutlich. Wie haben sich eure Initiativen weiterentwickelt?
Marco Windhorst: Ja, da könnten wir noch bis morgen früh drüber reden. Wir hatten hier noch einen weiteren Transport organisiert, der dann über die rumänische Grenze in die Ukraine verteilt wurde. Mittlerweile konzentrieren wir uns aber auf die Arbeit mit den Geflüchteten hier vor Ort. An der Grenze sind mittlerweile die großen Schiffe in Stellung und haben ihre Systeme hochgefahren, also das Rote Kreuz und andere professionelle Organisationen. Initiativen wie unsere waren am Anfang wichtig, um schnell und unbürokratisch erste Hilfe zu leisten. Auf Dauer ist das aber sicher bei den Profis besser aufgehoben.
Marco Sell: Ich glaube auch, dass wir mittlerweile hier vor Ort mehr bewegen können. Und da gibt es auch viel zu tun. Wir hatten auch noch mehrere Transporte organisiert und einer steht noch bevor, aber auch bei uns wendet sich der Fokus jetzt auf die Arbeit hier. Und langsam müssen wir uns auch wieder um unsere Arbeit kümmern …
Carsten Schulz: Ihr seid ja Steuerberater und Unternehmer und habt sicher nicht unter zu viel Freizeit gelitten. Wie ist das alles in der Mandantschaft und bei den Mitarbeitenden angekommen?
Marco Windhorst: Solche Fragen hat keiner gestellt. Im Gegenteil, ich habe auf jeden Fall sehr viel Zuspruch erfahren. Sowohl die Mitarbeitenden als auch die Mandanten hatten sehr viel Verständnis dafür, dass man für eine Zeit mit anderen Dingen beschäftigt war. Wobei die Mandanten das nicht gemerkt haben, weil unser Team das alles sehr gut aufgefangen hat. Dafür übrigens auch noch einen herzlichen Dank.
Marco Sell: Unbedingt. Da möchte ich mich auch sehr herzlich bedanken. Auch bei uns haben die Mitarbeitenden dem Lucian und mir den Rücken vorbildlich freigehalten und einen reibungslosen Kanzleiablauf gewährleistet. Das sind die Momente, wo man noch mal merkt, wie tolle Kolleginnen und Kollegen wir haben. Und auch vielen Dank an alle aus der HSP GRUPPE, die mit ihrer Spendenbereitschaft den Marco und mich fast arm gemacht haben (lacht). Ich hatte in meinem Heißsporn die Spenden aus eigenem Vermögen auch verdoppelt.
Carsten Schulz: Was nehmt ihr aus diesen Aktionen mit?
Marco Windhorst:
Dass der Mensch doch nicht so schlecht ist, wie wir das oft denken. Von der Hilfsbereitschaft bin ich immer noch fasziniert. Weil sie so spontan und ungetrübt war. Nicht nur die allgemeine Spendenbereitschaft, egal ob nun mit Geld oder Sachspenden. Wir haben für jede Herausforderung nach einer kurzen Rundmail immer jemanden gefunden, der eine Lösung hatte. Wenn es drauf ankommt, stehen die Menschen dann doch zusammen und haben einen Reflex zu helfen. Das stimmt mich zuversichtlich.
Marco Sell: Das sehe ich genauso. Und für mich hat sich einiges geändert. Bislang war ich aktiv nicht wirklich engagiert in Hilfsprojekten. Ich habe zwar immer Geld gegeben, aber eigenes, konkretes Tun war nicht sehr ausgeprägt. Die persönlichen Erfahrungen aus unserer Initiative haben mich sehr bereichert, auch wenn es komisch ist das zu sagen und man diese Erfahrung in so einem schrecklichen Zusammenhang macht. Aber die Dankbarkeit, die einem aus den Augen der Menschen entgegenschlägt, empfinde ich als ein besonderes Geschenk. Das bewegt mich sehr und rührt mich regelmäßig zu Tränen.
Carsten Schulz: Ihr Lieben, ich danke euch herzlich für das Gespräch und insbesondere für euren Einsatz.
Unternehmen der HSP GRUPPE bündeln ihr soziales und gesellschaftliches Engagement im gemeinnützigen Verein HSP CHARITY e. V., der auch offen für externe Spenden von Mandanten, Geschäftspartnern und Privatpersonen ist. Erfahren Sie mehr über HSP CHARITY und die unterstützten Hilfsprojekte.
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